Le Monde vom 8./9. Juli '90
Europäisches Theater-Festival in Grenoble

BOGNER, bouffon du monde occidental

Trotz der Baustellen im Stadtzentrum und der atmosphärischen Ausschweifungen, die einige open air-Veranstaltungen behinderten, hat das sechste europäische Theater-Festival schwungvoll begonnen. Jedoch hatte sich ein aus Deutschland kommender Aufwiegler ins Programm eingeschlichen: Bogner.
Am Ende von Bogners Vorstellung zeigte sich Serge Papagalli, Bogners Gastgeber vom Theater 145 erleichtert. Obwohl sie von dem sogenannten deutschen "Clown" auf die Palme gebracht wurden, blieben die Zuschauer artig auf ihren Sitzen: ratlos, enttäuscht, oft erregt, aber Herr ihrer Nerven. Auch am "Ende" der Vorstellung, als Bogner sich getreu seinem Vorgehen der totalen Verunsicherung so verhielt, daß niemand wußte, ob die Vorstellung weiterginge oder schon seit zehn Minuten beendet war. Etwas Wesentliches ereignet sich - das Ende einer Vorstellung, das Ende einer Welt, das Vorbeiziehen eines Kometen, das Aufblitzen eines Geistes - und siehe da: man bemerkt es erst im Nachhinein.
Man kann sagen, daß Bogners Vorstellung allein schon die Existenz eines Festivals, dem man beiwohnen kann, rechtfertigt. Bei ihm wird nicht viel gelacht, aber wenn man sich von ihm trennt, sieht man klarer.
Was macht er? Anscheinend nicht viel außer reden. Von daher tut ein Übersetzer not, der gar nicht mal so geschickt sein muß, da die Botschaft allein, selbst wenn sie sokratische Anleihen macht, aussagekräftig genug ist, um ihr Ziel zu erreichen.
Offensichtlich könnte Bogner, wenn er es nur wollte, das tun, was die wahren Clowns tun. Zwei oder drei Mal wird er mit einer Grimasse, einer plötzlichen Haltungsänderung, mit oder ohne rote Nase, zum Clown. Er erlaubt sich sogar eine ganze "Nummer", wenn er ein Paket öffnet, das ein Paket enthält, das ein Paket enthält etc. Aber er mißbraucht diese Gabe nicht, deren Gefälligkeiten und Grenzen er vielmehr unterstreicht. Eigentlich ist Bogner kein Clown. Eher ein Hofnarr. Seine Absicht ist es nicht, die "kleinen Geister" zum Lachen zu bringen, sondern die Grundlagen der Macht zu untergraben, die Falschspieler zu denunzieren, die Werte zu desakralisieren.
Nun, was gibt es heute in unseren dekadenten Gesellschaften Heiligeres als die Kunst? Die Kunst in den Händen der kaufmännischen und politischen Lobbies, Opium des Volkes, wenn es für die "Masse" bestimmt ist, Mittel zum Mammut-Profit, wenn es für die "Elite" bestimmt ist... Bogner desakralisiert also die Kunst, indem er, wie es scheint, seine eigene Vorstellung unterwandert. Er setzt seine Füße mitten in den Kulturschmaus, um uns zum Nachdenken darüber zu bringen, was es bedeutet, in einem Theater "auf seine Kosten zu kommen". Er ist nicht aggressiv, nein: die Aggression ist den Schwachen eigen. Wenn er sich an jemandem grob ausläßt, dann an sich selbst, und zwar in Anwandlungen von Selbstverspottung, die an seinen Bruder Woody Allen erinnern. Ansonsten schwenkt er seine Glöckchen, seine unnützen Nasen mit der sorglosen Liebenswürdigkeit der Meister des Umsturzes. Und wenn er seine Vorstellung ohne erkennbaren Schluß beendet hat, haben weder Glasnost noch commedia dell'arte bestehen können: dann ist es wirklich das Ende all unserer Mythen.
Bernadette Bost (Übersetzung: Adelheid Moos)