Einsichten eines Clowns
Der Frankfurter Menschendarsteller F.J. Bogner spielt in aller Welt mit der Absurdität des Alltags

Der Mann in der schwarzen Hose muß das Kleidungsstück mit den Händen halten und will mit einem Hosenträger Abhilfe schaffen. Mit sicherem Schwung wird der Hosenträger über die Schulter geworfen und hinten befestigt, aber jetzt beginnen die Schwierigkeiten: Während die eine Hand immer noch die Hose hält, dehnt die andere das Trageband, bis es kurz vor dem Ziel wieder zurückschnellt. Es bedarf einer Vielzahl von Versuchen und Verrenkungen, bis der Vorgang erfolgreich abgeschlossen ist - auf Kosten der verbogenen Gestalt seines Trägers.

"Es ist alles gaaanz einfach", hat derAkteur eingangs versichert, um dann exakt das Gegenteil zu beweisen. Das ist auch der Titel eines der 18 Programme, mit denen F. J. Bogner auf Tournee geht. In Frankfurt allerdings, wo der in Limburg geborene Solodarsteller seit 1987 seinen Wohnsitz hat, ist er seit einem Auftritt im Bockenheimer Depot vor zehn Jähren nicht mehr zu sehen gewesen. Dafür sind hier 1993 seine Erinnerungen erschienen, unter dem Titel "Memoiren eines Clowns".

Bogners Clownerien, deren Spaß niemals folgenlos für das Gehirn bleibt, sind von zeitloser Brisanz. Auch bei der "Theater-Olympiade" in Moskau, von wo er jetzt zurück kam, wurden seine Bezüge zum Absurden der Restität vom Publikum verstanden. Eine seiner Glanznummern ist die Not mit dem Anziehen des Jacketts, das über der Stuhllehne hängt, sich beim normalen und schwungvollen Griff nicht von dem Möbelstück lösen lassen will und seinen Besitzer zu strategischen Umwegen nötigt. Erfolgreich sind dann ein Kopfstand auf dem Stuhl und eine Rolle rückwärts in das Kleidungsstück hinein. Nur vordergründig dient die komplizierte Übung dazu, sich lächerlich zu machen. Sie gibt dem Clown F. J. (der Privatmensch dahinter heißt Franz Josef) immer wieder Anlaß, sich zu den Erfolgserlebnissen bei alltäglichen Verrichtungen zu bekennen. Wenn er später beim zweiten Anlauf die Übung, ohne zu zögern und voller Routine, wiederholt, kommt die eigentliche Lektion für sein Publikum: "Wir haben gelernt, zu reagieren, ohne zu denken:"

"Authentisches Theater" nennt Bogner seine Menschendarstellung, die er seit 1963 betreibt. Nicht Typen und Klischees will er in die Welt setzen, sondern vorhandene Erfahrungen verdeutlichen. Begonnen hat Bogner damit bei sich selbst, bei den eigenen Stimmungen. Schon im Gespräch kann er auf Kommando seine Gesichtszüge mit verkleinerten Augen und verschobener Kinnlade zu einem Ausdruck tiefen Leids zerfließen lassen, um sie bei Bedarf mit in die Breite gelegter Mundpartie in hoffnungsvolle Erwartung zu verwandeln. Bogner, der sich seine Techniken in privatem Sprech-, Schauspiel-, Pantomime- und Tanzunterricht angeeignet hat, mißtraut der herkömrolichen Unterhaltung. ImTheater werde zu 95 Prozent aufgesagt, kritisiert er.

Bei ihm stehen dagegen Kompensationstechniken im Vordergrund. Wenn er die Lehne eines Stuhls umklammert oder eine Hand in die Hüfte stemmt, dann beginnt schon ein "Auftritt", der dann auf der Bühne ganz beiläufig entwickelt wird. Bei Bedarf wird daraus aber auch ein Ganzkörpereinsatz mit akrobatischen Qualitäten. Und den begleitet er mit nicht minder akrobatischen sprachlichen Assoziationen: Pantomime, Clownerie, Kleinkunst. Dafür erhielt er 1977, im selben Jahr wie Konstantin Wecker und Dieter Hildebrandt in den anderen Sparten, den Deutschen Kleinkunstpreis in der Kategorie „Kleinkunst". Heute ist F. J. Bogner zwar im Rentenalter, aber weiterhin freiberuflich tätig. Während man ihn früher in Frankfurt im Kammerspiel oder in der Alten Oper sehen konnte, begegnet man ihm hier jetzt allenfalls in der U-Bahn. Engagements hat er in Sankt Petersburg und in Kasan, in Sankt Gallen oder in Zürich, unter anderem mit seinem "'V'st" für vier Spieler und ein Gretchen. In Moskau gastierte er dieses Jahr schon zum dritten Mal bei der "Theater-Olympiade". Am 13. September wird er auf dem Hambacher Schloß spielen. Daneben produziert er Hörspiele in Berlin, Köln, Graz, Wien und Saarbrücken.

Jürgen Richter
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juli 2001